Interview mit Dr. Steffi Burkhart zur Nachwuchsgewinnung
Haben junge Menschen keinen Bock mehr auf eine Ausbildung? Dr. Steffi Burkhart weiß, wie die Jugendlichen von heute ticken und gibt im Interview einen Einblick, wie Handwerksbetriebe junge Nachwuchskräfte gewinnen können.
Dr. Steffi Burkhart, Sportwissenschaftlerin und promovierte Gesundheitspsychologin, forscht über den Wertewandel in der Gesellschaft und über die Zukunft der Arbeit. Sie selbst gehört zur Generation der Millennials, also derjenigen, die um die Jahrtausendwende geboren wurden, und setzt sich dafür ein, dass die junge Generation mehr Anerkennung und Verständnis findet.
Das Unternehmen Würth hat mit ihr über den Nachwuchs im Handwerk gesprochen und über die Möglichkeit für Betriebe, die Millennials und die Generation Z für sich zu gewinnen. Wir geben das Interview in Auszügen wieder.
Was können Betriebe generell aktiv tun oder noch verbessern, um junge Nachwuchskräfte zu gewinnen?
Betriebe müssen dort ihre Sichtbarkeit erweitern, wo die jungen Menschen permanent präsent sind, nämlich im Internet. Wer digital nicht präsent ist, existiert für junge Menschen nicht. Da wir es aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend mit einem Bewerbermarkt zu tun haben, müssen Betriebe auch digital aktiv auf junge Menschen zugehen. Dazu ist es wichtig, die Touchpoints zu der Zielgruppe um den Faktor 100 zu erhöhen: Social-Media-Kanäle, SEO-Optimierungen, Karriere-Webseiten, Bewerbungsplattformen wie Indeed, auf Xing und LinkedIn aktiv werden, Pinterest, in Branchenforen aktiv sein und vieles mehr.
Unternehmen müssen sich auch den Millennials anpassen, ihre Denkart und Weltsicht verstehen lernen. Eine klassische Fünftagewoche als Beispiel ist für viele Auszubildende heute nicht mehr interessant. Da kann man meckern, wie man möchte: Wer sich nicht auf die neuen Bedürfnisse und Lebensrealitäten junger Menschen einstellt, wird auch keinen guten Nachwuchs mehr bekommen. Junge Menschen wünschen sich einen Austausch auf Augenhöhe statt eines Patriarchen an der Spitze – auch das ist im Handwerk noch nicht überall angekommen. Der Einstellungsprozess muss stark professionalisiert werden. Denn schon im Bewerbungsprozess macht sich der Bewerber ein Bild vom Unternehmen und ist schneller weg, als diese sich umsehen können:
- Wie einfach ist es, sich bei der Firma zu bewerben?
- Fordern die Personalverantwortlichen noch ein klassisches Anschreiben oder reicht ihnen ein Lebenslauf als PDF?
- Wie schnell antworten sie auf Bewerbungen? In einigen Firmen gibt es heute schon die Möglichkeit der One-Click-Bewerbung.
- Wie professionell ist das Bewerbungsgespräch vorbereitet?
- Haben sie eine Checkliste für das Onboarding neuer Mitarbeiter?
Mein Tipp: Unternehmen sollten junge Menschen einmal den Bewerbungsprozess bei sich durchlaufen und sich Feedback geben lassen: Was ist gut gelaufen, an welchen Berührungspunkten gab es Friktionen? Die sogenannte Candidate Experience vom Erstkontakt bis zur Anstellung entscheidet über den Rekrutierungserfolg! Und es ist wichtig, alle Friktionen zu beseitigen, die aus Bewerbersicht auftauchen.
Was war Ihrer Meinung nach die raffinierteste Initiative, bzw. Variante eines Betriebes, neue Auszubildende zu gewinnen?
Es gibt unterschiedliche, raffinierte Initiativen, denn immer mehr Betriebe überlegen sich, wie sie sich proaktiv auf die Zielgruppe junger Auszubildender oder Mitarbeiter zubewegen können. Dieser Mindset Shift im Kopf der Betriebe ist sehr wichtig. Wenn der Bewerbermarkt immer kleiner wird, braucht es kreative und proaktive Initiativen, die in das Aufmerksamkeitsfeld junger Menschen fallen. Und dann braucht es das richtige Online-Marketing und das entscheidende Fingerspitzengefühl für den richtigen Tonfall sowie Inhalte, die in der Lebenswelt junger Menschen ankommen.
Es gibt derzeit eine sehr gute Initiative im Handwerk, bei der eine ganze Branche für ihre Profession wirbt, und zwar dort, wo junge Leute Zeit verbringen: In sozialen Medien und auf dem Smartphone sowie in der (Bild)Sprache, die junge Leute cool finden. Bei dieser Kampagne bleiben keine Info-Wünsche offen. Vom virtuellen Praktikum über ausführliche Karrieretipps und interaktive Eignungstests bis hin zur integrierten Stellenbörse bietet die Website alles, um Interessierte abzuholen. Eine Facebook-Anbindung, regelmäßige Gewinnspiele und eine Suchmaschinenoptimierung sorgen zusätzlich für konstant gute Besuchszahlen. Die Präsenz auf Messen, Events sowie Filmproduktionen – dieser gesamte Mix macht die Initiative so raffiniert. Und ich bin sicher, dass für die Erarbeitung dieser Kampagne auch Persona-Modelle erstellt wurden. Das klingt im ersten Moment nach einem Buzzword; für eine gute Rekrutierungskampagne ist es jedoch wichtig, sich mit diesem Tool zu beschäftigen.
Ein Ausblick in die Zukunft: Die Digitalisierung ist in aller Munde, nahezu jeder Bereich ist davon betroffen. Wird es das Handwerk trotz Digitalisierung noch geben und wie stehen dann die Chancen für Auszubildende? Was wird sich ggf. ändern?
1. Millennials als Zielgruppe zu verstehen und deren Bedürfnisse zu befriedigen – ob auf Mitarbeiter- oder Kundenseite: Millennials sind Early Adopter sowie Trendsetter neuer Technologien und Entwicklungen wie beispielsweise der modernen Zickzack-Lebensläufe.
2. Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert. Alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert. Die wichtigste Fähigkeit des Menschen wird in der Zukunft sein, kreativ und mit anderen gemeinsam Probleme zu lösen sowie Organisationen und Teams erfolgreich zu führen.
3. Künstliche Intelligenzen und Robotik sollten auch im Handwerk in die vertikale Wertschöpfungskette viel stärker mit eingebaut werden, um Prozesse, Produkte und die Kundenzufriedenheit zu verbessern. Ein Beispiel: Die Heizung in meiner Wohnung fällt aus, weil ein Teil in der Therme kaputt gegangen ist. Ein Monteur müsste dann in der Lage sein, dieses Teil mit seinem Smartphone direkt vor Ort zu bestellen, einen Produktions- oder Lieferauftrag auszulösen und mir noch vor Ort eine zeitnahe Reparatur anzubieten. Dabei wird es in den nächsten Jahren so sein, dass Ersatzteile und Termine autonom über eine künstliche Intelligenz vereinbart, bestellt, produziert, verschickt und geliefert werden.
4. Der Kulturwandel in den Unternehmen muss schneller vollzogen werden: Ich erlebe bei all den Veranstaltungen, bei denen ich zu Gast bin, dass immer der gleiche Typus Mensch vor mir sitzt: männlich, weit über 50 Jahre und im blauen oder schwarzen Anzug. So sieht unsere Entscheiderebene in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft aus – eine Männer-Mono-Kultur. Kein Wunder also, dass wir uns seit Jahren nur im „Modus der Erfahrung“-Kreis drehen. Wenn sich das Handwerk diese Themen zu Herzen nimmt, dann klappt es auch mit der Zukunft und der Gewinnung und Bindung von jungen Nachwuchskräften. Davon bin ich überzeugt.
Das vollständige Interview mit Dr. Steffi Burkhart finden Sie hier.